
KPÖ, LINKS, Grün- und SPÖ-nahe Organisationen unterstützen offenen Brief
Wien | Dem ersten nicht-binären österreichischen Pass folgt ein Schulterschluss von Queer- und Trans-Organisationen mit Unterstützung politischer Parteien und nicht-binärer Persönlichkeiten. Wir fordern von Innenminister Gerhard Karner eine Überarbeitung der Handlungsanleitung für Personenstandsfragen, die ein X im österreichischen Pass auch ohne Wohnsitz im EU-Ausland ermöglicht.
Vor drei Wochen verbreitete sich die Nachricht, dass erstmals rechtskräftig ein österreichischer Reisepass mit einem X (statt F oder M) an eine nicht-binäre Person ausgestellt wurde. Passbesitzer*in Emil hat einen Wohnsitz und „divers“-Eintrag in Deutschland und berief sich in seinem Antrag auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, demzufolge das Geschlecht eines Menschen innerhalb der EU einheitlich sein soll.1
Das Medienecho auf diesen Einzelfall war überwältigend, obwohl sich an der Situation von nicht-binären Menschen mit ausschließlich österreichischem Wohnsitz nichts geändert hat: Diese haben (ohne angeborene Variationen der Geschlechtsmerkmale)keine Aussicht auf einen Personenstand, der ihrem Geschlecht entspricht. Emils Fall wurde sowohl international als auch von rechten Nachrichtenoutlets aufgegriffen. In den Kommentarspalten gibt es tausende Kommentare – von Verwirrung bis hin zu Hass. Wir sehen uns bestätigt: Die österreichische Rechtsauslegung zum Thema Geschlecht ist viel zu kompliziert geworden! Einzelpersonen werden im Behörden-Wirrwarr und vermeintlichen Kulturkampf alleingelassen. Wir fordern eine klare, österreichische Regelung, die den Menschenrechten und wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Unsere rechtliche Anerkennung kann nicht von unserem Wohnsitz, unserem detaillierten Rechtswissen und unserer Resilienz gegenüber Hass im Netz abhängen!
Zum Hintergrund unserer Forderung: Nicht-binäre Personen werden in Österreich aktuell nicht „nur“ diskriminiert, sondern diese Diskriminierung ist nicht einmal in sich konsistent. Denn zwei Aspekte an Emils nicht-binärem Pass, die auf besonderen Widerstand stoßen, sind einzeln schon jetzt gängige Praxis:
Erstens spielt das Geschlecht, dem sich eine Person zugehörig „fühlt“ (also ihre Geschlechtsidentität) sowieso schon eine Rolle bei Geschlechtseinträgen. Trans Männer und trans Frauen können (mit psychologischen Stellungnahmen) ihren Geschlechtseintrag ändern. Die Option zur Änderung des Geschlechtseintrags ist, nicht nur menschenrechtlich, sondern nachgewiesenermaßen auch psychologisch, geboten.2
Zweitens gibt es sowieso schon seit 2020 mehr als zwei Geschlechtseinträge, nämlich insgesamt sechs. Das basiert auf einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, in dem festgehalten wurde, dass „Menschen […] (nur) jene Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelung akzeptieren müssen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen“ und „Menschen mit alternativer Geschlechtsidentität“ geschützt sind „vor einer fremdbestimmten Geschlechtszuweisung“. Weil die damals klagende Person aber inter* war und nicht nicht-binär, haben die damalige Regierung Kurz I und Innenminister Herbert Kickl (weitergetragen von Kurz II und Innenminister Karl Nehammer) weitere Geschlechtseinträge mit der sogenannten „Durchführungsanleitung für standesamtliche Arbeit“ nur für inter* Personen – mit nachgewiesenen angeborenen Variationen der Geschlechtsmerkmale – freigegeben. Dass zumindest inter* Personen dieses Recht haben, ist die einzige Lösung im Einklang mit Recht und Wissenschaft.3
Kurz gesagt ist die Position des offiziellen Österreich: Die Geschlechtsidentität ist ein ausreichender Grund für einen neuen Geschlechtseintrag (bei trans Männern und Frauen), es gibt mehr als zwei Geschlechter, aber eine Änderung auf einen anderen Eintrag als M oder W aufgrund der eigenen Identität ist nicht möglich. Die Regeln zur Änderung des Geschlechtseintrags sind also je nach Geschlecht unterschiedlich.
Wir fordern Innenminister Gerhard Karner und die aktuelle ÖVP-SPÖ-Neos Regierung dazu auf, diese Handlungsanleitung für Personenstandsfragen so abzuändern, dass nicht-binäre Personen, wie trans Männer und trans Frauen, ihren Geschlechtseintrag ebenfalls passend abändern können – und zwar zum Beispiel zu den in Österreich bereits existierenden Einträgen „divers“ und „offen“, aber nicht zu „inter“. Unabhängig von möglichen zukünftigen Debatten bedeutet das für sich genommen keinen Wegfall der aktuell nötigen Stellungnahmen (wie beim Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland), und auch keine Neueinführung einer Rolle für psychologisches Geschlecht beim Personenstand oder Neueinführung eines Geschlechtseintrages. Es braucht auch kein neues Gesetz, da die aktuelle Handlungsanleitung von vorherein nur eine mögliche Umsetzung des Verfassungsgerichtshofurteils war. Diese Kickl/Nehammer-Handlungsanleitung diskriminiert nicht-binäre Personen willkürlich.
An Emils aktuellem Fall sehen wir, dass die Komplexität der aktuellen Regelungen rundum den Personenstand ein Maß überstiegen hat, das für die Bevölkerung verständlich ist. Diese Komplexität wurde durch das Kickl- und Nehammer-Innenministerium künstlich geschaffen. Die Wahrheit ist im Grunde genommen sehr einfach: Die Leute wissen und sagen selbst, welches Geschlecht sie haben – Geschlechtseinträge sollen Geschlecht festhalten und nicht vorschreiben.
Während das Regierungsprogramm stärkere Bekämpfung von Hass im Netz und Vorurteilskriminalität verspricht, bleibt legale Diskriminierung durch den Staat bestehen und befeuert diese Gewalt noch. Außerdem sollen endlich pseudowissenschaftliche Umerziehungen „gegen Trans-Sein“ verboten werden – gleichzeitig erklären unsere Dokumente uns zu Männern oder Frauen und negieren unser Trans-Sein und Regierungsmitglieder hetzen gegen trans-medizinische Versorgung.
Die aktuelle Bundesregierung unterstützt bisher durch Schweigen die Erzählung, dass es sich bei Transrechten um einen „Kulturkampf“ handeln würde, bei dem es verschiedene legitime Sichtweisen gibt. Vielmehr geht es um grundlegende Menschenrechte im Einklang mit dem wissenschaftlichen Konsens, dass der Zugang zu medizinischer, sozialer und legaler Transition für die mentale Gesundheit von trans Personen unabdingbar ist. Jede zweite trans Person versucht im Laufe ihres Lebens, sich selbst zu töten.4 Gesetze und Regelungen, die uns schützen, reduzieren dieses Risiko stark.
In Deutschland sind seit letztem Jahr gar keine „Nachweise“ der Geschlechtsidentität mehr nötig, um den eigenen Eintrag zu ändern, und es gibt zwei offen nicht-binäre Bundestagsabgeordnete. Dass nicht-binäre Personen existieren, ist inzwischen bei Netflix-Serien (wie „Sex Education“) und beim Eurovision Songcontest angekommen. Während Wien sich schon als queerfreundliche Stadt für den Songcontest 2026 positioniert, existiert das Geschlecht von 2024-Gewinner*in Nemo in Österreich gar nicht offiziell. Auch die Stadt Wien verschweigt die Existenz ihrer genderqueeren Bewohner*innen in Statistiken, aber auch in Werbung wie jener zur Pride. Doch der Bevölkerung kann hier Offenheit durchaus zugetraut werden: In einer repräsentativen Schweizer Umfrage sprechen sich 53% für nicht-binäre Geschlechtseinträge aus5 – für Österreich gibt es keine Zahlen.
Wir rufen die österreichische Bundesregierung auf, in Sachen Queerrechte im Gegensatz zu vorhergehenden Regierungen ausnahmsweise nicht Nachzüglerin, sondern im EU-Mittelfeld zu sein. Emils Pass und mögliche weitere zukünftige EU-rechtliche Sonderfälle – obwohl rechtlich gut begründet – geben im luftleeren Raum Anlass zu der Erzählung, dass die EU dem Staat Österreich diverse Geschlechter „vorschreibt“. Wir fordern ein Nein zu unserer Dämonisierung und eine klare österreichische Regelung.
Eine Anfrage an Gerhard Karner mit der Bitte um ein offenes Gespräch blieb bis zum 31. August unbeantwortet. Hier ist unser offener Brief an Innenminister Gerhard Karner und die Bundesregierung (inhaltsgleich mit diesem Statement).
Gezeichnet: Venib
Unterstützer*innen (in alphabetischer Reihenfolge):
AceAro.at – Die Vertretung der A*Spec Community in Österreich
AG Inter*Trans_Nonbinary der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung
AKS – Aktion kritischer Schüler_innen
Aro Ace Graz
Cha(i)nge – Trans Peer Group Vienna
Courage* Beratungsstellen
Nina Dafert, Schauspiel
Matthia Danielle Florian, Podcaster*in und Sexualpädagog*in
Verena Florian, Podcasterin und Autorin
Gender Garage Graz
GoWest – Verein für LGBTQIA+
GRAS – Grüne und Alternative Student_innen
Die Grünen Andersrum Wien & Bund
René_ Rain Hornstein, Diplom-Psycholog*in und DB- und Ryanair-Kläger*in
KPÖ – Kommunistische Partei Österreichs
LINKS Wien
MinaS – Verein für Menschen im nichtbinären und agender Spektrum Deutschland
Jona Moro, Schauspieler*in
Katharina Mückstein, Regisseurin
ÖH – Österreichische Hochschüler_innenschaft
PRAXISBÜRO TRILETY, Mi(riam) Trilety, Psychotherapeut*in
Piratenpartei Österreichs
Olivia Marie Purka, Schauspieler*In und Performer*In
QuacK – Queere Studierende und Universitäts-Angehörige
Queeramnnesty – Amnesty International Österreich
queerconnexion – Verein für queere Bildungsarbeit
QuFO – queer feministische Organisation
Prof.*in Joshua Raclaw, Anthropolog*in und Linguist*in
Red Edition – Verein zur Unterstützung und Beratung marginalisierter professioneller Migrant*innen
Julia Franz Richter, Schauspielerin
RosaLila PantherInnen
Mae Schwinghammer, Schriftstellerin
Lara Sienczak, Schauspieler*in
SJ – Sozialistische Jugend Österreich
Ass.-Prof. Dr.x Katta Spiel, Informatiker*in
Prof.in Willow Starr, Philosophin und Kognitionswissenschafterin
T~Kränzchen – Transmasc Peer Support
TIN-Rechtshilfe
Tired Trans* Graz
Trans and Nonbinary Youth Vienna
Trans Femme Fatale – Verein für Trans-Rechte, Vielfalt und Gleichberechtigung
TransX – Verein für Transgender Personen
VIMÖ – Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich
VSSTÖ – Verband Sozialistischer Student_innen in Österreich
younited – Verein für queere Angelegenheiten
1 siehe www.venib.at/2025-08-enby-pass/, Zugriff am 30.8.2025
2 https://whatweknow.inequality.cornell.edu/topics/lgbt-equality/what-does-the-scholarly-research-say-about-the-well-being-of-transgender-people/, Zugriff am 25.08.2025.
3 www.vimoe.at/ueber-inter/, Zugriff am 25.08.2025.
4 48%, untersucht in Großbritannien: www.emerald.com/mhrj/article-abstract/19/4/209/292741/Suicide-risk-in-the-UK-trans-population-and-the?redirectedFrom=fulltext, Zugriff am 25.08.2025.
5 https://sotomo.ch/site/projekte/geschlechtergerechter-studie-1-geschlecht-und-identitaet/, Bericht S. 33, Abb. 21, Zugriff am 30.08.2025.