Der folgende Brief wurde von einem unserer Mitglieder verfasst und an das Innenministerium geschickt:
Unzugänglichkeit der anderen Geschlechtseinträge für trans Personen
Sehr geehrter Herr Bundesminister, sehr geehrtes Team,
mein Name ist Farah, und ich existiere nicht.
Das heißt: ich existiere selbstverständlich: ich schreibe Ihnen gerade, ich gehe meiner Arbeit nach, und wie viele andere, leide ich unter den Bedingungen der Pandemie. Aber der Staat Österreich erkennt meine Existenz nicht an. Ich habe keine Dokumente, die sie belegen, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin, und hier lebe, und auch eine Staatsbürgerschaft habe.
Ich bin trans und non-binär. Ich besitze keine Ausweise. Die Dokumente, die ich besitze, zeigen eine Person, die es wiederum nicht gibt: mit einem Geschlecht, das dieser Person fälschlicherweise bei der Geburt zugewiesen wurde, mit dieser Zuschreibung diese Person ihr Leben lang zu kämpfen hatte.
Das bedeutet für mich eine sehr belastende und rechtlich absurde Situation, in der ausschließlich Sie, Herr Minister, Abhilfe schaffen können. In diesem Schreiben möchte ich Ihnen die Argumente darlegen, wieso dies aus meiner Sicht nicht nur unabdinglich, sondern auch rechtlich notwendig ist.
Biologischer Widerspruch
Einer Ihrer Vorgänger als Innenminister, Herbert Kickl, hatte in einem Erlass[1] verfassungswidriger Weise[2] festgelegt, dass nur inter Personen unter bestimmten Umständen ihre Geburtsurkunden korrigieren lassen dürfen. Dies hat Ihre Administration teilweise korrigiert[3], jedoch dabei eine streng biologistische Konnotation von Geschlecht gewählt, die erstens nicht der Realität entspricht und zweitens non-binäre Personen ohne Anlass ausschließt.
Konkret beziehe ich mich auf folgenden Absatz aus den Erlass BMI-VA1300/0415/III/3/b/2019:
Eine Berichtigung des Eintrags „männlich“ oder „weiblich“ auf den Begriff „divers“, „inter“ oder „offen“ bzw. eine Streichung eines solchen Eintrags ist auf Basis eines Fachgutachtens durchzuführen, das Aufschluss darüber gibt, ob es sich um eine Person handelt, die auf Grund ihrer chormosomalen [sic], anatomischen und/oder hormonellen Entwicklung dem männlichen oder weiblichen Geschlecht nicht zugeordnet werden kann. Von der Einholung eines solchen Gutachtens kann jedenfalls abgesehen werden, wenn anlässlich des Antrags bereits Unterlagen und Fachgutachten vorgelegt werden, die die zu beurkundende Tatsache zweifelsfrei erscheinen lassen. Diese Unterlagen oder das Gutachten sind dann Grundlage für die Eintragung im Zentralen Personenstandsregister.
Diese Formulierung ist grob irreführend und widerspricht dem Stand der Wissenschaft. Bei meiner Geburt wurde weder ein Hormonstatus erhoben, noch meine Chromosomen getestet, mir wurde ein falsches Geschlecht zugewiesen. Ich wurde in eine „falsche Schublade“ gezwängt. Den ersten Hormonstatus konnte ich erst messen, als ich bereits mit einer Hormonersatztherapie beginnen konnte, die selbstverständlich, was auch immer meine „hormonelle“ Entwicklung gewesen war, beeinflusst hat. Ich habe mich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt entschieden, non-binär zu sein, genauso wenig wie eine Frau sich entschieden hat Frau zu sein, eine inter Person sich entschieden hat inter zu sein, ein Mann sich entschieden hat Mann zu sein.
Juristischer Widerspruch
Dies ist jedoch nicht das einzige Problem. Mein Erscheinungsbild hat sich verändert. Mein Name ist nicht der, der auf meiner Geburtsurkunde steht. Kaum jemand würde mich auf den ersten Blick mit der oben genannten Person, die es nicht gibt, verwechseln. Und hierfür sieht das SPG im §35a einen Mechanismus vor, der mir wegen dieser Lücke in dem Erlass zum Verhängnis wird:
§ 35a (1) SPG besagt:
(1) Auf Antrag haben Landespolizeidirektionen […] einen Identitätsausweis auszustellen, der deren Namen, Geschlecht, […] zum Zeitpunkt der Ausstellung des Ausweises enthält. […]
(2) Der Inhaber eines Identitätsausweises ist verpflichtet, diesen unverzüglich der Behörde abzuliefern, wenn
[…]
2. das Lichtbild fehlt oder den Inhaber nicht mehr einwandfrei erkennen läßt oder
3. sich Name oder Geschlecht des Inhabers geändert haben.
Das bedeutet: Ich bin laut § 35a (2) verpflichtet, meine Ausweise abzugeben, weil weder mein Name noch mein Geschlechtseintrag darin korrekt sind – genauso wie mein Foto mich kaum erkennen lässt: aber sollte ich das tun, habe ich keine Chance, jemals wieder einen Ausweis zu erhalten, denn § 35a (1) macht es den zuständigen Behörden unmöglich, mir ein korrektes Ausweisdokument auszustellen. Denn ein solches würde ja wieder nur für eine Person ausgestellt werden, die nicht existiert, und ich wäre laut § 35a (2) wieder verpflichtet, es abzugeben.
Widerspruch im Rahmen des Regierungsübereinkommens
Auf Seite 178 des Regierungsübereinkommens der ÖVP und der Grünen findet sich der Satz: „Auch die Gleichstellung der Geschlechter und die Diskriminierungsfreiheit ist Österreich ein wichtiges Anliegen.“ Auf Seite 181 findet sich das Bekenntnis zu einem „[i]nternationalen Beitrag im Kampf gegen die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität […]“. Diese Punkte stehen unter dem Kapitel „Österreich in Europa und der Welt“ – aber wäre es nicht schön, wenn Österreich diese Punkte auch im Inland bekämpfte? Aktiv Schritte setzte, Diskriminierung gegen alle Geschlechter zu beenden, und ihre Verfolgung zu bekämpfen? Sich nicht nur wieder und immer wieder vom Verfassungsgerichtshof verklagen lassen, um Mindeststandards, die etwa die Europäische Union schon vor einem halben Jahrzehnt[4] vorgeschrieben hat? In der bereits erwähnten Resolution des Europäischen Parlaments betreffend trans Personen in Europa sieht Punkt 6.2.4 die Möglichkeit der Schaffung einer „dritten Geschlechtsoption“ für diejenigen vor, die eine solche möchten. Das Regierungsübereinkommen, der Verfassungsgerichtshof, die Europäische Union, alle geben zu diesem Zeitpunkt der Geschichte Ihnen, Herr Innenminister, die Entscheidung in die Hand.
Menschenrechtlicher Widerspruch
Ich bin Sozialarbeiter*in. Ich hätte durch meine Diagnose als F 64.0 „trans“ die Möglichkeit, meine Geburtsurkunde auf ein anderes Geschlecht ändern zu lassen, und meinen Namen korrigieren zu lassen. Ich will das nicht. Weil es eine Lüge wäre. Ich bin weder Mann noch Frau. Ich war nie weder das eine, noch das andere. Wie ich bereits unter dem Punkt „Juristischer Widerspruch“ ausgeführt habe, wäre es nur wieder ein falsches Dokument, auch wenn ich vielleicht die einzige Person wäre, die um diese Lüge wüsste. Artikel 8 der EMRK sollte mein Recht auf meine körperliche Integrität schützen – doch das System, in dem wir leben, konnte das nicht, gegen meinen Willen musste ich eine Pubertät durchleben, bevor ich erst Zugang zu einer Hormonersatztherapie erhielt. Dafür kann ich keine einzelne Person verantwortlich machen, und das ist auch nicht der Grund meines Schreibens. Artikel 8 der EMRK sollte die Identifizierung mit meinem Geschlecht schützen: und meine Identifizierung ist mit jedem Mal, dass ich einen Lichtbildausweis vorzeige, bedroht. Artikel 8 der EMRK soll meine geistige Gesundheit schützen: doch wie soll ich meine geistige Gesundheit bewahren, wenn ich in einem Staat lebe, der mich nicht anerkennt? Der mir meine Staatsbürgerschaft, die ich seit 35 Jahren innehabe, verweigert?
Im Sinne der wissenschaftlichen und biologischen Erkenntnisse, der juristischen, menschenrechtlichen und höchstgerichtlichen Errungenschaften, sowie im Sinne des Regierungsabkommens ersuche ich Sie daher dringend, den ergänzten Erlass GZ 2020-0.571.947 – BMI-VA1300/0415/III/3/b/2019 vom 9.9.2020 ein weiteres Mal zu ergänzen, damit seine Widersprüchlichkeiten aufgehoben werden und auch non-binäre Personen, denen bei der Geburt ein falsches Geschlecht zugewiesen wurde, eine Geburtsurkunde und somit Ausweisdokumente erhalten können, ohne die Notwendigkeit, über ihr tatsächliches Geschlecht falsche Angaben machen zu müssen.
Ich danke Ihnen für die Zeit, diesen Brief zu lesen. Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Farah
[1]Erlass vom 20.12.2018, GZ BMI-VA1300/0528-III/4/b/2018
[2]Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (G 77/2018) (15.06.2018)
Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (E 2918/2016) (27.06.2018)
[3]Erlass GZ BMI-VA1300/0415/III/3/b/2019
[4]„Discrimination against transgender people in Europe“, Europäisches Parlament, 2015 http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=21736